Ökotourismus – Ein Konzept, das sich schwer umsetzen lässt, mit dem richtigen Ansatz kann es jedoch klappen

Der Ökotourismus liegt nicht nur in Lateinamerika im Trend, sondern in vielen Teilen der Erde. Die „Rückkehr zur Natur“ wird dabei mit vielfältigen Erwartungen verknüpft und reicht von der individuellen Sinnsuche an „Shangri-La ähnlichen“ Orten über „going native“ bei indigenen Völkern bis zur Hoffnung auf einen Ausweg aus der globalen Krise. Die Verbreitung ökotouristischer Projekte wird allerdings auch von der Annahme befördert, Tourismus könne gezielt als Instrument der Entwicklungsförderung und der Armutsreduzierung eingesetzt werden (Walther, 2019). So wird der Ökotourismus von Regierungen, dem Privatsektor und internationalen Umwelt-NGOs zunehmend als Strategie zur Lösung wirtschaftlicher und sozialer Probleme in marginalisierten und peripheren Regionen des globalen Südens gefördert und gleichzeitig als adäquates und effektives Instrument des Umweltschutzes genutzt (Garrod, 2013).

Nicht auf allen Ökotourismusprojekten auf denen Öko steht, ist auch Öko drin

Gerne präsentiert sich der Ökotourismus deshalb als „grüne Alternative“ gegenüber anderen, deutlich destruktiveren Formen des Tourismus, ohne oftmals Naturerhalt, soziale Gerechtigkeit und lokale Einkommensmöglichkeiten zu realisieren. Mit steigender Anzahl der Projekte nimmt so die Besorgnis zu, ob die Programme ihre Zielvorgabe in puncto Nachhaltigkeit erfüllen (Cloquet, 2014) oder sogar kontraproduktiv wirken können. Dies geschieht vor allem dann, wenn die geforderte aktive Teilnahme und Mitsprache der Einheimischen am touristischen Planungs- und Entscheidungsprozess, die eigentlich ein unverzichtbares Element und entscheidendes Erfolgskriterium nachhaltiger Entwicklung darstellt, außer Acht gelassen wird. Dadurch entstehen häufig Projekte, die weder den soziokulturellen Lebensstil noch die Visionen und Wünsche der Einheimischen in den Mittelpunkt stellen, obwohl sie als integraler Bestandteil des Tourismusproduktes unmittelbar von den Auswirkungen des Tourismus betroffen sind (Muganda, Mgonja & Backman, 2013; Gumede & Nzama, 2021). Zwar gibt es an manchen Orten Projekte, die auf partizipativen Ansätzen basieren, jedoch herrscht bei der Umsetzung der Programme häufig Vetternwirtschaft unter den beteiligten Akteuren oder die geldgebende Partei versucht im eignen (finanziellen) Interesse zu handeln (Backes & Gothe, 2003). Infolgedessen werden Projekte initiiert, die, wie alle anderen Ökotourismusprogramme auch, wirtschaftlich nicht ertragreich und sozial ungerecht für die ansässige Bevölkerung sind. Rund um den Globus existieren somit zahlreiche Ökotourismusprojekte, die sich zwar mit dem Image des Ökotourismus schmücken, ohne ihn aber tatsächlich in der Praxis umzusetzen (Harsh, 2020).

Himalaya Ecotourism zeigt, dass es echten Ökotourismus geben kann

Ein Unternehmen, das die Sorge um die Umwelt und die lokale Bevölkerung tatsächlich in den Vordergrund rückt und somit Grund zur Hoffnung gibt, ist das Social Enterprise „Himalaya Ecotourism“. Angesiedelt im heiligen Thirthan-Tal von Himachal Pradesh, auch bekannt als das Tal der Götter, verfolgt der, durch den Belgier Stephan Marchel gegründete Outdoor- & Trekking-Operator, die Vision, ein nachhaltiges Entwicklungsmodell im Herzen des Himalayas zu kreieren, das auf einem echten allumfassenden partizipativen Ansatz gründet. Die Einheimischen erhalten dadurch die Möglichkeit, Entscheidungen zu treffen, die für ihr Leben und ihre Umwelt, in der sie wohnen, relevant sind. Nach erfolgreicher Einarbeitung soll die Reiseagentur mittelfristig sogar vollständig an die lokalen Community-Mitglieder übergeben werden. Ausgehend von diesem Leitgedanken achten Marchel und die anderen Mitglieder des Operators strikt darauf, dass die lokale Bevölkerung die Kontrolle über das Projekt erhält. So können sich beispielsweise nur Personen der Reiseagentur anschließen, die auch im Thirthan-Tal geboren und aufgewachsen sind. Außerdem werden die Löhne von den Einheimischen selbst festgesetzt – sie richten sich nach den Forderungen der Mitglieder und den marktmöglichen Preisen. Um sicherzustellen, dass alle Gemeindemitglieder im gleichen Maße entweder direkt oder indirekt vom Tourismus profitieren, wird das Business fair durch ein Rotationssystem unter den Trekking-Führern aufgeteilt, und ein Teil der tourismusgenerierten Einnahmen fließt in Gemeindeprojekte wie dem Aufforstungsprogramm oder der Women-Empowernment-Initative. Mit diesen Maßnahmen gelingt es dem Social Enterprise wahren Ökotourismus zu schaffen, der die Werte und Interessen der lokalen Bevölkerung respektiert, der die regionale Wirtschaft stärkt, die Natur schützt und einen kollektiven Nutzen für die Gemeinde bringt.

Auch die Besten haben mit Herausforderungen zu kämpfen

Auch wenn etliche „Greenwashing-Reiseagenturen“ nicht ansatzweise mit dem Trekking-Operator in Himachel Pradesh Schritt halten können, steht auch das Social Enterprise vor verschiedenen Herausforderungen. Ein Problem, mit dem die Reiseagentur insbesondere zu kämpfen hat, ist das Thema „Gender Inequality“. Obwohl bereits erste Schritte in Richtung „Frauen-Empowerment“ unternommen wurden – es wurde z.B. ein Projekt ins Leben gerufen, in dessen Rahmen Frauen Seifen und Aprikosenöl herstellen – fühlen sich viele weibliche Mitglieder insbesondere vom Trekking-Buisness ausgeschlossen. Dies liegt nicht zuletzt daran, dass die lokale Gesellschaft, wie in vielen anderen Teilen Indiens, bis dato an patriarchalen Strukturen festhält. Die Arbeit als Trekking-Führer bleibt deshalb in der Regel Männersache, während die Frauen ganz traditionell Aufgaben wie dem Putzen, Kochen, der Kindererziehung und Feldarbeit nachgehen. Dies soll sich nun ändern.

Mehr weibliche Trekking-Guides würden der Reiseagentur und lokalen Gemeinschaft viele Vorteile bringen

Für Marchal ist es wichtig, dass von nun an mehr Frauen in das Projekt eingebunden und die Community zum Umdenken bewegt wird. Die erste Trekking-Führerin hat er bereits vor zwei Jahren in das Programm aufgenommen. Jegita ist für die weiblichen Gäste der Kooperative verantwortlich. Auch für die junge Frau ist die verstärkte Integration weiblicher Wanderführerrinnen in die Reiseagentur das A und O. Denn davon, so sagt sie, würden nicht nur die weiblichen Gäste profitieren, die sich auf ein Trekking-Abenteuer durch das schneegeküsste Naturparadies Himachal Pradesh begeben möchten, sondern auch die einheimischen Frauen. Während sich die Touristinnen dadurch deutlich freier und sicherer fühlen können – in der indischen Gesellschaft werden zum einen bestimmte Themen wie die Menstruation noch immer tabuisiert und können nicht einfach so vor dem männlichen Geschlecht angesprochen werden, und zum anderen ist es für indische Frau bisher unüblich, ohne Vater oder Ehemann zu verreisen- haben die einheimischen Frauen hingegen den Vorteil, dass durch die Einbindung von Trekking-Führerinnen der Status der Frau in der Gesellschaft hinterfragt und eventuell die Arbeitslast innerhalb der Familien gerechter und effizienter verteilt wird.

Durch finanziellen Anreiz soll Anzahl der Trekking-Führerinnen gesteigert werden

Um mehr Trekking-Führerinnen für seine Reiseagentur zu gewinnen, versucht Marchal den Familien einen finanziellen Anreiz zu bieten, indem er die fehlende Zeit, die die Frauen im Haushalt verbringen (müssen), kompensiert. Weibliche Angestellte erhalten deshalb im Vergleich zu ihren männlichen Kollegen das doppelte Gehalt bei HET. Dadurch hofft der junge Unternehmer, dass sich bald weitere Trekking-Führerinnen der Initiative anschließen und sich das bestehende Frauenbild in der Thirthan-Valley nach und nach verändert. 


Portrait Sabrina Rau

Autorin

Sabrina Rau glaubt daran, dass wahre Nachhaltigkeit nur durch Zusammenarbeit und interkulturellen Austausch entstehen kann. Die Verbindung zu Menschen anderer Kulturen und das Zuhören, um von ihren Geschichten und ihrer Weisheit zu lernen, sind ihr deshalb eine Herzensangelegenheit. Sabrina ist Autorin und hält einen Bachelor in Sustainable Tourism.


Quellen:

Backes, M., & Goethe, T. (2003). Meilensteine und Fallstricke der Tourismuskritik. Peripherie. 89(23), 7-30.

Cloquet, I. (2014). Einbindung touristischer Entwicklungsprojekte in die Naturschutzgebiete in Gabun: Erkenntnisse aus einem gescheiterten Versuch. Tourism Review, 4-5.

Garrod, B. (2013). Local Participation in the Planning and Management of Ecotourism: A Revised Model Approach. Journal of Ecotourism. 2(1), 22-53.

Gumede, T.K., & Nzama, A.T. (2021). Approaches toward Community Participation Enhancement in Ecotourism. In: M. N., Suratman (Hrsg.), Protected Area Management-Recent Advances (S.1-22). o.O. IntechOpen.

Harsh, S. (2020). Himalaya Ecotourism, a Social Enterprise. TerraGreen Magazine, 23-26.

Muganda, M., Mgonja, J., & Backmann, K. F. (2013). Desires of Community Participation in Tourism Development Decision Making Process: A Case Study of Barabarani, Mto Wa Mbu, Tanzania. American Journal of Tourism Research. 2(1), 84-94.

Walther, S. (2019). Ökotourismus in Mexiko: Der neue Umgang mit Natur in Lachatao, einer indigenen Gemeinde in Oaxaco (2. Aufl.). Bielefeld: Transcript Verlag.

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