Nachhaltigkeit: zwischen Realität und Illusion
Gastbeitrag von Anna Kodek
Die Klimakrise, die Biodiversitätskrise oder die Pandemie zeigt auf, dass ein Paradigmenwechsel Richtung Nachhaltigkeit unumgänglich ist. Ungeachtet der vielen Herausforderungen und Schwierigkeiten ist zukunftsfähiges Denken und Wirtschaften wichtiger als je zuvor.
Welche Barrieren, welche Lösungsansätze gibt es? Wie kommen wir vom Müssen ins Wollen?
Nachhaltigkeit an sich ist ein abstrakter für die wenigsten Menschen greifbares Wort, dass bis heute nicht genau definiert ist und unterschiedlich interpretiert und missbraucht wird. Auf der einen Seite ist es essenziell, Nachhaltigkeit ganzheitlich und nicht isoliert zu analysieren. Auf der anderen Seitestelle ich mir die Frage: Wie realistisch ist es überhaupt alle 17 Nachhaltigkeitsziele und deren 169 Unterziele lösen zu können? Blicken wir jemals durch den Dschungel dieser Komplexität? Oft habe ich die Empfehlung gehört, dass sich jeder seine für sich relevanten Nachhaltigkeitsziele herauspicken soll, um diesen nach bestem Wissen und Gewissen gerecht zu werden. In der Theorie schön und gut, wären da nicht in der Praxis die unterschiedlichsten Interessens-, und Zielkonflikte vorprogrammiert. Laut dem Buch „Ist Nachhaltigkeit utopisch“ wurden Zielkonflikte innerhalb der SDGs (Sustainable Developement Goals, d.h. UN-Nachhaltigkeitsziele) untersucht und folgende Fragen gestellt:
- Wie kann die Beseitigung des Hungers mit ökologischer Nachhaltigkeit in Einklang gebracht werden?
- Wie kann wirtschaftliches Wachstum mit ökologischer Nachhaltigkeit in Einklang gebracht werden?
- Wie kann Einkommensungleichheit mit wirtschaftlichem Wachstum in Einklang gebracht werden?
SDG1 lautet: Keine Armut. SDG 8 lautet: Menschenwürdige Arbeit und Wirtschaftswachstum. Überspitzt formuliert: Hätten alle Menschen weltweit den gleichen Lebensstandard wie im globalen Norden und deren Wirtschaftswachstum, ginge das massiv zu Lasten der Umwelt (SDG 13 Handeln für den Klimaschutz, SDG 14 Leben unter Wasser, SDG 15 Leben an Land). Die Klimakrise und das Artensterben würden unter diesen Umständen noch viel weiter fortschreiten.
In unserer Gesellschaft wissen wir mittlerweile viel über die oft verheerenden Arbeitsbedingungen Bescheid
Der Verein SOL hat die Broschüre Morgen und Anderswo publiziert. Laut dieser Broschüre sparen wir uns ¼ unseres Bruttogehalts auf Kosten anderer Menschen. Ist es als Versagen des Marktes zu verstehen, wenn ökologische und soziale Kosten nicht vom Verursacher getragen werden, sondern zu Lasten der Umwelt oder der Zukunft gehen? Christian Felber empfiehlt zum Beispiel, dass jedes Unternehmen eine Gemeinwohlbilanz erstellen sollte. Puma veröffentlichte im Jahr 2011 als erstes Unternehmen weltweit eine ökologische Gewinn-und Verlustrechnung. „Auswirkungen von Landnutzung, Luftverschmutzung und Abfall entlang der Wertschöpfungskette belaufen sich auf € 51 Mio., zusätzlich zu bereits ausgewiesenen € 94 Mio. für Treibhausgasemissionen und Wasserverbrauch“. Ich als Privatperson kann zur globalen Lösung wenig bis nichts beitragen. Ich fühle mich überfordert und unbedeutend klein. Ich kann sowieso nicht alles richtig machen, irgendwo trete ich in ein Fettnäpfchen, und dann zeigen Menschen mit dem Finger auf mich und sagen: „Schau, die probiert nachhaltig zu leben und schafft es auch nicht. Warum soll ich mich abmühen, wenn nicht einmal Menschen wie Greta Thunberges zu 100 Prozentschaffen? Klingt logisch, oder? Warum aber wollen mich dann die soeben geschriebenen Zeilen nicht überzeugen? Perfekt sein zu wollen ist ein Wunschtraum, eine nicht erfüllbare Illusion, bei der wir früher oder später frustriert das Handtuch werfen. Bemüht zu sein ist hingegen Realität, mit der jede Person im eigenen Tempo hinein-und mitwachsen kann. Zum Glück gab und gibt es Menschen wie Mahatma Gandhi, die damals schon erkannten:
„Sei selbst die Veränderung, die du in der Welt sehen möchtest“,
oder ein anderes, sehr weises Zitat: „Die Welt hat genug für jedermanns Bedürfnisse, aber nicht für jedermanns Gier“. Was sagte der deutsch-US-amerikanische Psychoanalytiker, Philosoph und Sozialpsychologe Erich Fromm über die Gier? Selbstsucht ist eine Art Gier. Genaue Beobachtung zeigt, dass der Selbstsüchtige zwar stets eifrig darauf bedacht ist, auf seine Kosten zu kommen, dass er aber nie befriedigt ist und niemals zur Ruhe findet, weil ihm stets die Angst im Nacken sitzt, er könnte nicht genug bekommen, es könnte ihm etwas entgehen und er könnte etwas entbehren müssen. Ein brennender Neid erfüllt ihn auf Jeden, der vielleicht mehr haben könnte als er selbst. Wenn wir noch etwas genauer hinsehen, so finden wir, dass sich solche Menschen im Grunde selbst nicht ausstehen können. Wer sich nicht leiden kann, wer mit sich nicht einverstanden ist, befindet sich in einer ständigen Unruhe in Bezug auf das eigene Selbst. Er besitzt nicht die innere Sicherheit, die nur auf dem Boden einer echten Liebe zu sich selbst und der Bejahung der eigenen Person gedeihen kann.
Den Wunsch, sich alles kaufen zu können, verbinden viele Menschen mit Freiheit
Fühle ich mich wirklich frei, wenn ich ständig meinen Impulsen nachgebe und Sachen kaufe, die zwei Tage später ungebraucht im Schrank verschwinden? Konsumismus zeigt, wie stark wir und unsere Bedürfnisse durch Andere beeinflusst werden. Eigentlich sollte unser Eindruck voneinander durch persönliche Begegnungen im sozialen Miteinander bestimmt sein, anstatt durch äußere Eindrücke. Aus der Reihe Zeitgespräche über Überfluss habe ich folgendes Zitat mitgenommen: „Wir konsumieren Dinge, die wir nicht brauchen, mit Geld, das wir nicht haben, um Leuten zu imponieren, die wir nicht mögen“. Freuen wir uns genauso mit Mitmenschen, die begeistert von ihrem Österreich Urlaub erzählen und nicht im fernen Sansibar weilten. Freuen wir uns mit Menschen, die im Urlaub die Gegend mit dem Rad, zu Fuß, per Kanu etc. erkunden und keine Quad-Tour in der Wüste bzw. eine Jetski-Tour auf dem Meer unternommen haben. Freuen wir uns mit unseren Freunden, wenn diese von einer Segeltour berichten, anstatt einer Luxuskreuzfahrt in die Antarktis. Nur weil jemand anscheinend mehr erlebt, mehr Geld ausgegeben hat oder kilometermäßig weiter von zu Hause weg war, sagt das noch lange nichts darüber aus, wie persönlich bereichernd die Zeit war.
Für die Zukunft konzentriere ich mich auf die wesentlichsten Dinge im Leben
Laut den Brüdern Skidelsky sind diese: Sicherheit, Respekt, Gesundheit, Freundschaft, Muße, Persönlichkeit und Harmonie mit der Natur. Überdenken wir nüchtern und sachlich unsere Bedürfnisse und unseren Lebensstil. Welche Werte wollen wir unserer Gesellschaft, unseren Kindern vermitteln. Die Einstellung, verantwortungsvoller mit sich selbst, der Natur, den Mitmenschen umzugehen öffnet uns neue Türen. Abschließend ein Gedicht:
Zu viele Farben gefährden das Sehen
Zu viele Töne töten das Hören
Zu viel Kosten kostet den Geschmack
Zu viel Zerstreuung erzeugt Verwirrung
Zu viel Besitz besitzt den Besitzenden
Darum der Weise: Achtet auf das Innere, nicht auf das Äußere.
Er gibt jenes aufund erhält dieses.
(Lao-Tse)
Hast du dir auch schon Gedanken zum Thema Nachhaltigkeit im Tourismus gemacht? Schreibt Anna an annakodek@verantwortungsvoll-reisen.com oder GruenerFliegen an smile@gruener-fliegen.de
Anna Kodek
Anna Kodek wohnt im niederösterreichischen Eichgraben und befasst sich mit einer nachhaltigen Tourismusentwicklung. Neben ihren größtenteils ehrenamtlich gehaltenen Vorträgen zu diesem Thema, gestaltet sie einmal im Monat Reise-Inspirationen auf Basis eines verantwortungsvollen Tourismus. Auf ihrer Webseite verantwortungsvoll-reisen.com kannst du diese nachlesen und findest viele Informationen und Tipps, die dir aufzeigen, dass ein Tourismus auf Augenhöhe einen absoluten Mehrwert deiner Reise darstellt.
Portrait: © Anna Kodek